Die "Reichskrone" in Naumburg


Am Theaterplatz in Naumburg, gegenüber der Alexander von Humboldt Schule, widersetzt sich ein stattliches Gebäude, dessen Glanz verflogen und Festlichkeit dahin, dem fortschreitenden Verfall. Die Alten kennen es als Haus des Volkes oder Die Reichskrone - als Hotel mit einem geschichtsträchtigen Fest- und Veranstaltungssaal. 1805 floriert hier ein gut gehender Kaffeegarten mit Gastwirtschaft, der sich zur Peter-Pauls-Messe großer Beliebtheit erfreute. Daraus geht 1816 das Hotel "Zum blauen Stern" hervor. Die Verkehrslage ist günstig. Das Haus steht am Weg nach Grochlitz und Nahe der Straße nach Leipzig und Weißenfels. Als das Jacobstor noch existierte, brauchten, wenn die Fuhrleute hier Station machten, nicht erst in die Stadt, um Quartier zu suchen und sparten damit Abgaben.

Als Naumburg 1846 Eisenbahnanschluss bekam partizipiert der "Blaue Stern", wie das "Schwarze Roß" oder der "Sächsische Hof", vom zunehmenden Fremden- und Geschäftsverkehr. Mittlerweile waren die Stadttore abgerissen. Zoll und andere Abgaben werden nicht mehr erhoben.

1880 erwirbt Reichsgräfin von Hoffmannsegg das Grundstück vom "Blauen Stern". Sie lässt das alte Gebäude abbrechen und baut auf dem Grundstück das "Hotel zur Reichskrone", angegliedert ein großer Saal mit 1250 Plätzen.

Die Reichsgräfin von Hoffmannsegg stirbt am 4. Dezember 1898. In ihrem Testament vom 5. Januar 1898 überführt sie das Reichskronengrundstück in die Freytagsche-Hoffmannsegg-Stiftung. Die Stiftung will Schauspieler, Künstler und "bedürftige Töchter" unterstützen. Aber die Legaten aus den Zinsen des Bargeldvermögens reichen bereits zum Anfang des neuen Jahrhunderts nicht, um die notwendigen Reparaturen am Theatergebäude auszuführen. Zu dieser Zeit ist das Grundstück noch mit 100 000 Reichsmark belastet.

1907 installiert man im Haus elektrisches Licht und eine Niederdruckdampfheizung.

Nach dem Ersten Weltkrieg erwirbt die Stadt das Gebäude der Reichskrone für 4 Millionen Reichsmark. 1923 erfolgt unter der Leitung von Stadtbaurat Hossfeld der Umbau: drei neue Eingänge, ein festliches Vestibül und große Garderoben. Eine elegante Bestuhlung verleiht dem Großen Saal neuen Schick. Das versenkbare Orchester verbessert die Tonqualität der Aufführungen. Die Ausstattung genügt jetzt den Anforderungen für Theater-, Konzert und Varieteeveranstaltungen. Die Stadt verpachtet die Reichskrone dem Filmverlag W. Feindt in Berlin. 1924 werden die ersten Stummfilme in der "Reichskrone" gezeigt. Am 4. Mai und 6. Juni 1934 erfolgt in der "Reichskrone" die Erstaufführung der "Uta von Naumburg" von Felix Dhünen.

Reichskrone (Bismarckplatz /
Theaterplatz) um 1910

Der Stadtrat beschließt am 23. August 1933 die Grundinstandsetzung der "Reichskrone" und ihre Nutzung als NSDAP-Kreisleitung. Ein Jahr später, am 31. Juli 1934, erfolgt die Einweihung.

Die "Reichskrone" bildet in den verschiedenen Epochen das politische Zentrum der Stadt. Während der Novemberrevolution 1918 finden hier Versammlungen der Bürger und des "Arbeiter- und Soldatenrates" statt.

Ein Aktionsausschuss von USDAP, SPD und Gewerkschaften ruft hier am 16. März 1920 den Generalstreik aus.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 ändert sich der soziale und politische Charakter der Veranstaltungen grundlegend.

68 braune Schwestern des Gaues Halle-Merseburg werden am 30. November 1935 in der Reichskrone durch Gauleiter Ruldolf Jordan (1902-1988) vereidigt. Anwesend ist die Reichsvertrauensschwester und Generaloberin der NS-Schwesternschaft Käthe Böttger und der Hauptamtsleiter des Amtes für Volkswohlfahrt der NSDAP Erich Hilgenfeldt (1897-1945). Ziel der NS-Schwestern ist die Erziehung der Bürger zu einem gesunden Volk und der NS-Weltanschauung.

Am 29. März 1936 sind Reichtagswahlen in Verbindung mit der Volksabstimmung über die Ermächtigung zur Rheinlandbesetzung. Reichsjungendführer Baldur von Schirach spricht am 17. März 1936 aus Anlass der auf dem Platz vor der "Reichskrone" zu den Naumburgern. Vorher zogen Trupps mit Sprechchören durch die Straßen und skandierten "Wahlrecht ist Wahlpflicht". Kurz vor 8 Uhr wurde der Platz von der SS abgesperrt. Fackelträger, Ehrengefolgschaft und ein Ehrenzug der NAPOLA nahmen Aufstellung. ½ 9 Uhr schritt der Reichsjugendführer die Front der Ehrenabordnungen ab. In seiner Rede betonte er die Notwendigkeit "der Überwindung der Klassengegensätze".

Am 12. April 1945 gegen 11 Uhr rückt das V. Armeekorps der 1. US-Armee über die Hennebrücke mit Shermann-Panzern, Jeeps und Studebaker-LKWs in Naumburg ein. Zwölf Tage danach verlegt sie ihr Führungszentrum ("Regierung") in die "Reichskrone".

Am 5. September 1945 lädt Eugen Wallbaum, Dezernent für Volksbildung, zur Feierstunde in den Saal der "Reichskrone" ein, um der Opfer des Faschismus zu gedenken.

Seit 1946 heißt die "Reichskrone" Haus des Volkes, in der sich die Kreisleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands institutionalisiert. Zu DDR-Zeiten findet hier ein großer Teil des öffentlichen politischen und kulturellen Lebens statt.

 

 

68 braune Schwestern des Gaues Halle-Merseburg wurden in Naumburg durch Gauleiter Jordan vereidigt. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 2. Dezember 1935

Eberhard Kaufmann: Das letzte Naumburger Theater. In: Burgenlandjournal. Heimatbeilage des Naumburger Tageblatts, 12. Mai 1997, Seite 1, 2, 8.

Emil Kraatz: Reichskrone. In: Aus dem Leben eines Bürgermeisters und der von ihm in den letzten 37 Jahren verwalteten Städte. Verlag von Fr. Wilh. Grunow, Leipzig 1914, Seite 650 ff.

 

Detlef Belau


Aktualisiert:
25. August 2008