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Blick zum ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar aus Richtung Jena (2009)
 
Glockenturm, Teil der 1958 eingeweihten Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald (2009)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Naumburger im Konzentrationslager - Berichte

Die Nationalsozialisten verbringen viele politische Oppositionelle und Unange-passte in Gefängnisse, Zuchthäuser, Konzentrations- und Arbeitslager. Darunter viele Naumburger.

Über die Lebensverhältnisse in den Konzentrationslagern dürfen wir uns keine vereinfachten Vorstellungen bilden. Funktionshäftlinge (Kapos) müssen in diesem Lagersystem eine unglaublich schwierige Doppelrolle realisieren. Einerseits stehen sie in der Pflicht, die Lagerordnung in ihrem Bereich aufrechtzuerhalten. Andererseits erwarten die Häftlinge von ihnen ein helfendes Verhalten. "Die Macht, die dem Blockältesten und den Stubendiensten zustand", steht im berühmten Buch Der SS-Staat (1946, 66) von Eugen Kogon (1903-1987), "wurde von charakterlich minderwertigen Elementen jedoch zum Teil auf das allerschwerste mißbraucht." Einige von ihnen lassen sich im Konzentrationslager Buchenwald Fehlhandlungen und Verbrechen zu Schulden kommen (vgl. Niethammer 264 bis 285). Und doch, sagte Alojzy Maciak in seiner Rede zum 64. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald, war es ein kämpfendes Lager. "Was dieses Lager aber unter den Konzentrationslagern besonders auszeichnete, war der unaufhörliche und mit jedem Jahr stärker werdende Kampf. Nicht zufällig ist das Lager von Buchenwald das einzige Lager, das sich selbst befreite."

Walter Höhne (Naumburg), Richard Kanzler (Bad Kösen) und Johannes Heinenmann (Naumburg) waren Mitglieder der KPD. Zur Rolle der Kommunisten im Konzentrationslager Buchenwald hält der ehemalige Häftling Eugen Kogon fest:

"Das Verdienst der Kommunisten um die KL-Gefangenen kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. In manchen Fällen verdanken ihnen die Lagerinsassen buchstäblich die Gesamtrettung, wenn auch die Beweggründe selten reiner Uneigennützigkeit entsprangen, sondern meist dem Gruppen-Selbsterhaltungstrieb, an dessen positiven Folgen dann manchmal ein ganzes Lager Teilnahm."

 

 

Der Blockälteste Walter Höhne

 

Walter Höhne,

Jahrgang 1894, wohnhaft: Naumburg (Saale), Jägerplatz 21. Das KPD-Mitglied (seit 1920, vorher USPD) verhaftet man am 9. März 1935. Seine Verurteilung erfolgt am 17. Juni 1935 im Schwurgerichtssaal des Schwurgerichtsgebäude Naumburg durch den 5. Strafsenat des Berliner Kammergerichts unter Vorsitz von Kammergerichtsrat Reeck (Berlin) wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Zuchthaus. Er ist zunächst im Zuchthaus Halle und KZ Lichtenburg inhaftiert. Seit dem 7. August 1937, 12 Uhr, befindet er sich mit der Haftnummer 1289 im Konzentrationslager Buchenwald.

Arbeitsstellen: seit 1932 die Piehler Autoreperatur in der Weißenfelser Straße, vorher in LEUNA (1927-1929) und bei Maier & Voigt Naumburg (1917-1927) als Schlosser.

Nach seiner Entlassung aus Buchenwald im April 1945 wird er Bürgermeister (1945-1947) der Stadt Naumburg. Ab 1951 arbeitet er als Angestellter bei der Bauunion Naumburg.

 

Walter Bartel berichtet über den Blockältesten von Nummer 38 Walter Höhne:

„Er bemühte sich sehr korrekt, immer die richtige politischen Linie zwischen den Befehlen der SS und den selbstverständlichen Interessen der Häftlinge zu finden.“

Und weiter: „Ich habe Walter Höhne im Konzentrationslager kennengelernt. Er war, meines Wissens, ab April 1940, der Blockälteste von 38. Diesem Block gehörte ich von Oktober 1939 bis zur Befreiung am 11. April 1945 an. In seiner täglichen Arbeit konnte ich Walter Höhne natürlich sehr gut beobachten. ….

Er sorgte und forderte Ordnung, weil das Verhalten zu der von der SS befohlenen Ordnung natürlich oft einige Schwierigkeiten, die uns die SS bereitete, vermeiden ließ. Seine etwas kurz angebundene Art war nicht immer jedem Häftling verständlich, besonders nicht den 1943/44 in den Block gekommenen ausländischen Häftlingen. Aber jeder der ihn näher kennenlernte, verstand, daß das nicht Böswilligkeit ist, sondern zu seinen Eigenschaften gehört.

Er zeichnete sich durch großen Gerechtigkeitssinn aus. In seinem Block ließ er in keiner Weise irgendwelchen Handel mit Lebensmitteln oder anderem Notwendigen zu. Vor allem gab es bei ihm keinerlei Unregelmäßigkeiten bei der Essenausgabe. Für ihn war es eine Sache der Ehre, daß jeder Häftling seinen Teil der Suppe, Margarine u. a. was die Häftlings-Küche gab, auch erhielt.

Ich konnte beobachten, daß er von den Lebensmitteln, besonders Brot, die er sich auf irgendeine Weise beschaffte, den Häftlingen gab, die durch ihren körperlichen Zustand eine zusätzliche Portion gut gebrauchen konnten: Er war auch immer gern bereit zu helfen, um irgendwelche andere Kleidung aus der Häftlings-Bekleidungskammer zu erhalten. Ein Paar Schuhe, die einigermaßen in Ordnung waren, stellten oft die Voraussetzung zum Weiterleben dar.

Mir ist kein Fall bekannt geworden, daß ein Konflikt entstand zwischen dem was die SS von einem Blockältesten forderte und dem was Walter Höhne getan hätte. Er besaß die Achtung und die Zuneigung aller Blockinsassen.

In der politischen Arbeit war er genau wie in seiner Arbeit als Häftlingsfunktionär zurückhaltend, aber zuverlässig und unbedingt vertrauenswürdig.

Da ein Blockältester nicht zur Arbeit gehen mußte, sondern den ganzen Tag im Block sich aufhielt, stellte Walter Höhne, wie viele andere Blockälteste, auch eine Anlaufstelle für die politische Arbeit dar.

Bei Walter Höhne gab es keinen Krach. Unvermeidliche Streitigkeiten, die in einem Block der Häftlinge immer wieder auftraten, besonders in der Zeit, als der Block bis aufs Dreifache belegt war, konnte W. Höhne sehr schnell mit seiner ruhigen Art und seiner Autorität schlichten. Ich kann mich keines Falls erinnern, wo er anders als in guten beruhigenden Worten auf die Streitenden eingewirkt hat.

Mir persönlich ist der Blockälteste Walter Höhne, der Mensch und Kommunist, der Arbeiter, politische Funktionär [,] in guter Erinnerung. Er stellt den Typ des Antifaschisten dar, die auch hinter dem elektrisch geladenen Zaun ihren Kampf nicht aufgaben und er in seiner speziellen Funktion als Blockältester alles tat, um diesen Kampf zu fördern und das Leben der Häftlinge einigermaßen erträglich zu machen.

Ich bin überzeugt, daß alle anderen Kameraden, die mit mir zusammen in der gleichen Zeit im Block 38 waren, das bestätigen können. Hinsichtlich noch weiterer Adressen von Kameraden aus Block 38 verweise ich auf die Forschungsstätte in der Nationalen

Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald (5301). Die Kameraden dort besitzen Unterlagen über die Zusammensetzung der einzelnen Blocks und können sicherlich Namen geben. Im Moment sind mir nur Namen geläufig von Kameraden in der BRD, aber das würde die Sache nur komplizieren.“ (Barthel 1972)

 

 

Walter Bartel (1904-1992), 1920 KJVD, 1923 KPD, 1929/39 Studium an der internationalen Leninschule in Moskau, 1932 Rückkehr nach Deutschland, 1933 Verhaftung wegen Hochverrats (27 Monate Zuchthaus Brandenburg), Emigration in die Tschechoslowakei, 1935 Ausschluss aus der KPD, März 1939 Verhaftung und Internierung im KZ Buchenwald, ab 1943 Vorsitzender des Internationalen Lagerkomitees, 1946-1953 persönlicher Referent von Wilhelm Pieck, 1950 Überprüfung seines Parteiausschlusses in Prag (1935), 1957 Promotion an der Universität Leipzig, Professor für Neue Geschichte (1962).

Natürlich müssen die neuen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse beachtet werden, zum Beispiel Manfred Overesch: Buchenwald und die DDR. oder Die Suche nach Selbstlegitimation. Sammlung Vandenhoeck, Göttingen 1995, Seite 63, 253 f., 287, 293. Dort finden sich weitere Aussagen zu Walter Bartel und auf Seite 254 der Hinweis auf die "Legende von der Selbstbefreiung". Doch bereits im Bericht des ehemaligen Häftlings Eugen Kogon (1903-1987), veröffentlicht als "Der SS-Staat" (1945 / 1974), heisst es:

"So fanden die ersten amerikanischen Panzer, die vom Nordwesten her anrollten, das befreite Buchenwald vor." (Seite 342)

Der VVN BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Frankfurt an der Oder) veröffentlicht auf seiner Internetseite (2010) unter der Überschrift

"Die Selbstbefreiung Buchenwalds"

den Tagesbericht der US Armee. Die dort enthaltenen Informationen stützen die Aussage von der Selbstbefreiung ebenso wie die Aussagen einiger Häftlinge.

"Es war eindeutig ein Akt der Selbstbefreiung. Das bezeugen auch im 66. Jahr der Befreiung die noch lebenden ehemaligen Häftlinge. Aus welchen Grund auch immer - es gibt immer wieder Bestrebungen, diese geschichtlichen Fakten umzudeuten oder klein zu reden. Auch Präsident Obama sprach bekanntlich davon, dass Buchenwald von den US-Truppen befreit worden sei." (Politz 2011)

Details siehe ab "Der Tag der Befreung" in Emil Carlebach, Willy Schneider, Ulrich Schneider: Buchenwald ein Konzentrationslager. Berichte - Bilder - Dokumente, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln  2000, Seite 141 - 151.

 

 

 

Im Steinbruch des Konzentrationslagers Buchenwald

Richard Kanzler, Jahrgang 1897, wird im Kommunistenprozess am 18. und 19. Juni 1935 vom 5. Strafsenat des Kammergerichts Berlin im Saal des Schwurgerichtsgebäudes von Naumburg zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.

 

Richard Kanzler (1897-1959)

 

Vom 31. Juli 1937 bis 20. April 1939 ist er im Konzentrationslager Buchenwald interniert und als Kapo im Steinbruch eingesetzt. Über ihn berichtet der ehemalige Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald Walter Grunert (geboren 17.2.1906, Haftnummer: 428, Haftzeit von 31. Juli 1937 bis wahrscheinlich 20. April 1939) folgendes:

„Ob es schon 1937 oder erst 1938 war, kann ich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.“ „Eines Tages beim Appell [im Konzentrationslager Buchenwald] wurde aufgerufen, alle ehemaligen Reichstags- und Landtagsabgeordnete und andere Spitzenfunktionäre der KPD und SPD vortreten und beim Steinbruchkommando antreten. Was der Steinbruch bedeutete, darüber ist viel gesagt und geschrieben worden. Alle traten vor, sie waren ja bekannt. Darunter Max Werner, Theodor Neubauer, Walter Stöcker, Albert Kuntz, Ottomar Geschke, Dr. Hans Litter, um nur einige zu nennen. Meiner Erinnerung nach waren es zirka 70 Mann. Genosse Richard ….. aus Bad Kösen war Kapo im Steinbruch.

Ich habe die Genossen gesehen, wie sie die ersten Tage zerschunden, völlig apathisch von der Arbeit zurückkamen. Genosse Kanzler hat es meisterhaft verstanden diese Genossen so in Steinbruch einzusetzen, daß sie nicht den unmittelbaren Schikanen der SS ausgesetzt waren … Nicht ein Genosse kam dabei ums Leben, obwohl die Vernichtung dieser Genossen doch beabsichtigt war.“ (Gruner Biografie)

 

 

Felix Zeitschel im Konzentrationslager Lichtenburg

Der gelernte Bäcker, Leuna- und Bauarbeiter Felix Zeitschel (Jahrgang 1903) vom Siedlungshof 31, wird am 6. April 1933 in Naumburg verhaftet und bis zum 26. Dezember 1933 im Konzentrationslager Lichtenburg inhaftiert. Über seine Erlebnisse berichtet er Folgendes:

„Die Fahrt ging nach Halle zum Bahnhof. Mit der Bahn weiter zur Einlieferung in das KZ Lichtenburg. Der Wachmann Schellenberger hatte Wort gehalten. Die Frauen standen vor dem Gefängnis, Abschiedsworte wurden ausgetauscht. Auf dem Bahnhof in Halle eine Solidaritätskundgebung trotz schwerbewaffneter Polizei, Rot-Front-Rufe bei der Abfahrt des Zuges. Im Laufschritt durch das Tor, schon trat der Gummiknüppel in Aktion: Nun in Reih und Glied angetreten, Verlesung der Häftlinge mit empfang der persönlichen Sachen und Einteilung in die Stationen. Ich wurde in die Station 1 des Zellenhauses eingewiesen, ein junger Pole war mein Zellengenosse, ein guter Kerl. Neben mir der Kommunist Wagner, Kurt [,] aus Tröglitz, Schutte, Hermann und 2 Jungsozialisten aus dem Kreisgebiet von Zeitz. Wir wurden eine gute Gemeinschaft. Schutte war Maler, zeichnete später nur Bilder, ein anderer kam in die Schreibstube als Schreiber, der andere als Fotograf in die Verwaltung. Wir wussten nun [von] jedem neuen Häftling im Zu- und Abgang. In den unteren Zellen lagen Häftlinge mit Sicher-heitsverwahrung. Ihre Zellenfenster waren den ganzen Tag verdunkelt, sie durften sich am Tage nicht setzen oder legen. Ihre Freizeit war die Säuberung der Klo-Kasten. Später wurde das von neu eingelieferten Häftlingen durchgeführt. Wenn wir im Zellenhaus zur Notdurft aufgerufen wurden, ging es zu den Klosett-Anlagen. Es standen dort 15 Holzkästen nebeneinander, vorn wie auf dem Bau ein offener Sitz ohne Tür. So stand jeden Tag eine Schlange von 150 Häftlingen und mußten zusehen, wie der Häftling seine Notdurft verrichtete. Ich war Zeuge, wie neu eingelieferte Häftlinge (Bergholz) die vollen Kotkasten, die in einer Grube entleert wurden, nicht tragen konnten, die Griffe der Kasten an den Seiten waren scharf, die Hände blutig und im Galopp, mit den Händen in den Kot, den Arm vollnehmen und so, getrieben mit Gummiknüppel, zur Grube. Dort sich nackt machen, in einer Tränke die Kleider reinigen, aus dem Wasser noch trinken. Der Zweck: Die SS wartet auf Widerstand. Hier hatte uns Professor Wagner empfohlen, er lag mir gegenüber, nicht auf Provokationen hereinzufallen. Es hatte Recht, ein Aufruf der SS, fertigmachen zum Kirchgang. Kein Häftling kam aus der Zelle. Nun hieß es heraustreten, vor der Ausgangstür rechts und links die SS, und wie sausten die Gummiknüppel.

Meine Aufgabe war, in den Abteilungen die Schuhe von Häftlingen zur Reparatur zu bringen. Das war der Zweck der Verbindung zu den Genossen.

So kam es trotz Meinungsverschiedenheiten zum Hungerstreik. Da war was los. Die Häftlinge waren belehrt, keiner nimmt essen. Nicht alle verweigern, der größte Teil hat keinen Hunger, die vollen Kübel gehen zurück.

Was nun folgt: alle raustreten, wer hat das angezettelt [?]. Die gegessen haben vortreten, auch nur ein kleiner Teil. Jetzt werden die vorgetretenen Häftlinge auf den Hof gejagt. Die Befragung, wer das ausgeheckt hat, geht weiter, keiner übt Verrat.

Wie lange wir gestanden haben, weiß ich nicht mehr. Zurück in die Zellen. Wir klettern über Strohsäcke, die SS hatte in den Zellen eine Durchsuchung ge-macht. Vom 2. Stockwerk waren die Strohsäcke ausgeschüttet, Bekleidung, die kurz vor dem Besuch mitgebrachten Lebensmittel in das Treppenhaus runtergeworfen. Jeder Häftling, wir waren wohl so über 150 im Zellenhaus, nahm irgendetwas. In 10 Minuten war Reinigung. 14 Tage brauchten wir, bis jeder Häftling wieder im Besitz seines Eigentums war.

Die nächste Besuchszeit nach dem Hungerstreik. Besuchsempfang. Nach Aufruf im Hof in einer Reihe antreten. 1 Meter gegenüber den Frauen. In der Mitte steht die SS. Mitgebrachte Pakete [sind] nur nach bestimmtem Gewicht erlaubt. Neben mir ein junger Häftling, seine Mutter brachte Kartoffeln mit. Auf der Waage Übergewicht, Wurst und Brot fliegt raus. Der Häftling ruft, da will ich gar nichts haben, er wird sofort zurückgebracht, wir haben nichts mehr von ihm gehört. Wie viele Schikanen könnte ich noch aufführen. Es kam der Tag der Wahl, wir Häftlinge durften wählen. Die Partei, das größte Schulungslager in Deutschland auf Kosten des Faschismus, alle Stimmen für Hitler, das glaubt dann keiner. Mit Musik zur Wahl, unser Stationsleiter Hellwig belehrt uns, macht keinen Fehler, wählt Hitler, sonst geht es euch schlecht. Alles wie im Wahllokal, wir treten wieder an, wollen zurück, das spricht Hellwig zu einem Häftling, Name nicht bekannt, wie kannst Du Schwein SPD wählen, wir haben ihn nicht mehr gesehen. Auf der Bühne die große Wahlurne, innen ein SS-Mann, der den Stimmzettel kontrolliert, wußte sofort, wer gegen Hitler war. Bei meiner Entlassung am 26.12.1933 täuschte ich noch die SS mit einem Ata-Paket. Ich rief, ich muss erst zur Kontrolle, die Antwort der SS, hau ab, du Schwein hast sowieso nichts. Nun geschult, zu frischen Taten zu Hause.“ (Felix Zeitschel 1976)

 

 

Karl Marien im Konzentrationslager Sachsenhausen

Der Schlosser Karl Marien, beschäftigt bei der Firma Gehring, Jahrgang 1886, wohnhaft Siedlungshof 13, verheiratet, zwei Kinder, wird am 22. August 1944 verhaftet und in das KZ Sachsenhausen überführt. Dort bleibt er bis zur Befreiung durch die Rote Armee inhaftiert. Über ihn existiert folgender Bericht aus dem Jahr 1945:

„Mit vielen anderen seiner Leidensgenossen … kam er zunächst in das Gewahrsam „Rote Mühle“ in Halle. Diese Unterkunft strotzte voll Ungeziefer: die Verpflegung war schlecht. Ursprünglich sollten die Häftlinge nach dem Lager Buchenwald kommen, aber infolge der Bombardierung wurden sie nach dem Lager Sachsenburg bei Oranienbaum weitergeleitet. An dessen Eingangsforte standen die goldenen Worte „Arbeit macht frei“, ihr Willkommensgruß lautete „Kommt rein, ihr Drecksäue“. Zunächst wurden den Häftlingen, die fast alle über 50 Jahre alt waren, die Sachen abgenommen und sie mit Anstaltskleidern versehen, dann erfolgte die Belehrung über ihr Verhalten. Zu fünf Mann lagen sie in 2 Betten; auch hier war die Verpflegung schlecht, so erhielten z. B. sieben Mann ein Brot. Spezialität war ein Gericht „Bahndamm“, so benannt, weil es nur aus Blättern bestand, die am Bahndamm wachsen. Außer den politi-schen Häftlingen befanden sich in diesem Lager noch Freiheitskämpfer aus der Normandie. Die Insassen mußten täglich arbeiten. Als Entgelt wurden Prämienscheine zu 0,50 und 1,00 RM an die Häftlinge ausgegeben, für das Geld konnten sie sich dann Braunbier oder Kartoffelsalat kaufen. Das Lager zählte 30 000 bis 35 000 Mann; war eine Hinrichtung, mußten alle Mann hinsehen. Im Krematorium herrschte stets Hochbetrieb. Im Januar 1945 kamen 1 500 Juden aus Pressburg, von denen die allermeisten das Lager nicht lebend verlassen haben. Am 21. April wurde das Lager aufgelöst und die Insassen in Kolonnen zu 500 Mann in Richtung Schwerin in Marsch gesetzt. Wer nicht mitkam, infolge Erkältung, bekam einen Genickschuß. Unterwegs wurde die Kolonne einmal durch ein amerikanisches Rotes Kreuz notdürftig verpflegt. Von Schwerin erfolgte dann der Weitermarsch in Richtung auf Magdeburg, und bei Dönitz wurde die Elbe überschritten. Von hieraus gelangte Kamerad Marien wieder nach Naumburg, viel bejubelt von seinen Angehörigen. Er hatte zuletzt bei der Firma C. W. Gehring gearbeitet, die sich wiederholt, jedoch erfolglos, für seine Freilassung eingesetzt hatte.“

 

 

 
Johannes Heinemann, geboren am 5. Dezember 1894 in Erfurt, wohnhaft Naumburg, Kleine Jakobsgasse 14, schreibt aus dem Konzentrationslager Buchenwald an seine Ehefrau nach Naumburg (Saale)

 

Der Mord an Johannes Heinemann

Blick in die Kleine Jacobsgasse in Richtung ehemaliges Wohnhaus von Heinemann (2008)

 

Die Nationalsozialisten ermordeten Johannes Heinemann aus der Kleinen Jacobsgasse 14 1942 im Konzentrationslager Dachau. In Erinnerung an dieses Verbrechen nannte man die Rittergasse nach 1945 in Heinemann-Gasse um. Nach 1990 erfolgte die sogenannte "Rückbenennung".

Johannes Heinemann wird am 5. Dezember 1894 in Erfurt in einer Familie mit sieben Kindern geboren. Der Melker übersiedelt 1930 nach Naumburg und heiratet am 1. September 1933 Elsa aus Naumburg. Am 25. August 1932 wird er wegen „Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt“ zu acht Monaten Gefängnis verurteilt und auf Grund einer Amnestie am 22. Dezember 1932 wieder freigelassen. Heinemann ist Mitglied der KPD und des RGO.

 

Johannes Heinemann (1894-1942)

 

In den Aufzeichnungen von Johannes Heinemann beziehungsweise seiner Frau Else findet sich das unten wiedergegebene Gedicht. Der erste Teil entstammt dem Lied der Roten Armee Wir schützen die Sowjetunion und entspricht dem Wir sind die roten Soldaten. Es atmet den Geist des Bürgerkrieges. Für den zweiten Teil des Gedichts - Gib die Hand, Kamerad - konnte ich keine Vorlage ermitteln.

 

 

Wir schützen die Sowjetunion

 

Archiv Johannes Heinemann

Ein Lied der roten Armee aus der Zeit des Bürgerkriegs nach der Oktoberrevolution. Es entstand in Russland um 1920 mit dem Titel
"Wir sind die roten Soldaten".
Deutsche Übersetzung: Willi Karsch (1931)

 


Wir hassen euch, ihr Drohnen
auf Gut, Fabriken und Bank,
ihr Räuber der Nationen,
all unser Untergang.


Wir hassen euch, ihr Drohnen
auf Gut, Fabriken und Bank.
Ihr Räuber der Nationen,
wir sind euer Untergang!

Refrain:
Und richten sie die Gewehre
gegen die Sowjetunion,
dann rüsten rote Heere
zum Kampf, zur Revolution.

Refrain:
Und richten sie die Gewehre
gegen die Sowjetunion,
dann rüsten rote Heere
zum Kampf, zur Revolution!


Wir mußten lange darben
auf höhrer Fürsten Geheiß,
und was wir da erwarben,
war Blut und Dreck und Schweiß.


Wir mußten lange darben
auf hoher Fürsten Geheiß,
und was wir da erwarben,
war Not und Dreck und Schweiß.


Da kam die Zeit, Genossen,
die Henker schlugen wir tot,
viel Blut war da vergossen,
ein Sechstel der Erde blieb rot.


Da kam der Tag, Genossen,
die Henker schlugen wir tot.
Viel Blut ward da vergossen -
ein Sechstel der Erde blieb rot!
 


Wir Arbeiter, Bauern, Armeen,
Soldaten der neuen Zeit,
wo rote Fahnen wehen,
da stehen wir kampfbereit!



Der Schwur der Rotarmisten
ist ja auch allen bekannt,
kommt her zu uns Kommunisten,
kämpft mit uns Hand in Hand.


Der Schwur der Rotarmisten,
der ist uns allen bekannt.
Heraus, ihr Sozialisten,
zum Endkampf, Hand in Hand!

 

Gib die Hand, Kamerad,
der du stempeln gehst,
kämpf mit um dein elendes Recht,
wenn du hungerst und darbst,
dann vergiß nicht, Prolet,
Millionen geht es noch schlecht.
Darum steh nicht lange beiseite,
Genosse, reih dich endlich ein!
Kämpf mit an unsrer Seite,
stolz, ein Antifaschist zu sein.

An die Wand mit den Feinden der Sowjetunion
die das Volk in den Tod wollen hetzen,
die nur für schnöden Judaslohn
die Waffen zum Aufruhr wetzen,
ihr russischen Brüder,
gebt keinen Pardon,
die Kugel ist viel zu schade
für die Kettenhunde der Reaktion,
gebt keine Gnade!

Durch die Nazikugeln wurde mancher Prolet
feig und meuchlings erschossen,
die rote Klassenfront aber steht
im Kampfe unverdrossen.
Wenn auch der Nazi-Hitler schreit:
Viele Schädel müssen rollen,
wir werden ihm zu gegebener Zeit
die richtige Antwort zollen.
Doch wenn ihr das harte Urteil sprecht,
die blutrünstige Meute wird grollen,
die Hitler mit dem Gottesknecht,
sie möchten euch niederrollen.
Laßt sie nur entfesseln den Weltenbrand,
für des Allmächtigen Ehre,
die Rote Front mit starker Hand
erfaßt dann die Gewehre.

 

 

Am 21. März 1935 verhaftet man ihn von der Straße zusammen mit Erich Tatzel und Kurt Schoder. Im Prozess vom 12./13. Juni 1935 in Naumburg wird er zu drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus sowie fünf Jahren Ehrenverlust verurteilt. Einen Teil der Strafe verbüßt er im „Roten Ochse“ (Halle). Es folgen die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau.

 

 

Aus dem Brief vom Konzentrationslager Dachau an Frau Heinermann vom August 1942

Dachau 3/K, den 10. [?] August 1942

„Sehr geehrte Frau Heinemann!
Ihr Ehemann Johannes Heinemann, geboren 5.12.94 zu Erfurt, meldete sich am, 25.7.1942 krank und wurde daraufhin unter Aufnahme im Krankenhaus in ärztliche Behandlung genommen. Es wurde ihm die bestmögliche medikamentöse und pflegerische Behandlung zuteil. Trotz ärztlicher Behandlung gelang es nicht, der Krankheit Herr zu werden.

Ich spreche Ihnen zu diesem Verlust mein Beileid aus. Ihr Ehemann hat keine letzten Wünsche geäußert. Ich habe die Gefangeneneigentumsverwaltung meines Lagers angewiesen, den Nachlass an Ihre Anschrift zu senden.“

Unterschrift
SS-Obersturmbannführer

 

 

Den Mord an Häftlingen oder ihren Tod als Folge unmenschlicher Haftbedingungen, versuchen viele Verantwortliche zu verschleiern.

 

Wegen der Todesmitteilung von Johannes Heinemann wandte ich mich an die Forschungsstelle der Gedenkstätte Dachau und erhielt am 16. März 2007 folgende Antwort:

Sehr geehrter Herr Belau,
wir können bestätigen, dass Johannes Heinemann im KZ Dachau inhaftiert war und hier auch gestorben ist. ….
…. Herr Heinemann wurde zusammen mit 300 Häftlingen vom Männerlager des KZ Ravensbrück nach Dachau gebracht. Nach unserer Einschätzung handelte es sich dabei um einen Invaliden- oder Sterbetransport, d. h. dass das KZ Ravensbrück nicht mehr Arbeitsfähige selektierte und in das KZ Dachau abschob. Etwa drei Viertel der Häftlinge starben in Dachau in den ersten Stunden, Tage oder Wochen nach der Ankunft. Die in der Sterbenachricht angegebene Mühewaltung der KZ-Krankenstation entspricht dem Text eines Standardbriefes, die in der Sterbeurkunde (Standesamt Dachau: „Versagen von Herz und Kreislauf bei Bauchwassersucht) ausgestellte Todesursache war in den allermeisten Fällen und so auch in diesem Fall fingiert. Sterbenskranke invalide Häftlinge erhielten hier keine medizinische Unterstützung, sondern wurden zum Sterben im Krankenrevier isoliert abgelegt. ...

Mit freundlichen Grüßen.
Albert Knoll.

 

 

Zur Charakterisierung der Verbrechen des Nationalsozialismus reicht der juristische Begriff des Mordes nicht aus. Denn für die Häftlinge von Kon-zentrations- und Arbeitslagern lassen sich oft das genaue Todesdatum und/oder die genauen Umstände des Todes nicht sicher feststellen. Bisweilen existieren sogar amtlicherseits unterschiedliche Angaben dazu. Das ändert nichts am Wesen der verbrecherischen Handlungen an Juden, sogenannten Asozialen, Homsexeuellen, Zigeunern, Kriegsgefangenen, Oppositionellen und Gegnern des Nationalsozialismus. Wenn Menschen unter Lebens- bzw. Haftbedingungen den frühzeitigen Tod erleiden, weil sie absichtlich unter hygienisch unzulässige Bedingungen gezwungen, unterernährt und körperlich wie psychisch schwer misshandelt werden, müssen wir dies vom Standpunkt des Humanismus als ein schweres Verbrechen bezeichnen. Personen, die vorsätzlich mit derartigen Handlungen den Tod anderer Menschen herbeiführen oder daran mitwirken sind Mörder.

Johannes Heinemann wurde am 26. Juli 1942 im Konzentrationslager Dachau ermordet.

 

 

Walter Jahnke im Aschendorfer Moor

Walter Jahnke erlebt seine Kindheit und frühe Jugend in Schneidemühl (Pila). Im Dezember 1936 wird er vom Kammergericht in Berlin wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 3 Jahren Zuchthaus und 3 Jahren Ehrverlust verurteilt. Seit März 1946 lebt er mit seiner Frau in Naumburg (Utastraße 4). Von 1946 bis 1950 ist der Widerstandskämpfer bei der Naumburger Polizei tätig. Aufgrund seiner amerikanischen Kriegsgefangenschaft wird er dann entlassen.

Von April bis Juli 1939 ist das KPD-Mitglied im KZ-Straflager Aschendorfer Moor (Lager II) interniert. Er erinnert sich:

 

Walter Jahnke (1910-1997)

 

„War die Zeit der Vernehmung schon grausam, so erlebten wir im Lager etwas, was sich keiner träumen ließ. Mitte 1939 arbeitete ich bei einem sogenannten Kuhlkommando mit 140 Gefangenen.

Der Kommandoführer hatte immer seinen Hund bei sich, der auf Menschen dressiert war. Abends, wenn die Arbeit beendet war, mussten wir antreten, und der Kommandoführer schritt die Reihe ab. Bei dieser Gelegenheit wurde ich von dem Hund in die linke Hand gebissen. Ich durfte natürlich keine Äußerung der Mißbilligung tun. Wir rückten in das Lager ein, während dieser Zeit war meine Hand schon nicht mehr wiederzuerkennen. Ich beriet mich mit anderen Genossen, was ich deswegen tun könnte.

 

"Die Kuhlkommandos waren meistens von vier transportablen hölzernen Wachtürmen umgeben, auf denen "Blaue" mit Maschinenpistolen bzw. -gewehren jeden Fluchtversuch verhindern sollten. Bei starkem Nebel, der im emsländischen Moor keine Seltenheit war, verließen die Kommandos das Lager gar nicht erst, da die Fluchtgefahr für zu groß erachtet wurde.

"Kuhlen" galt in den ELL [Emslandlager] grundsätzlich als die schwerste und zudem eintönigste Arbeit; einen Eindruck davon vermittelt das folgende Gedicht des Moorsoldaten Heinz Hentschke: "Kulen, kulen / früh und spät, / jeden Tag nur kulen; / früh und spät nur kulen. // Kulen, kulen / hart und schwer, / jeden Tag nur kulen;/ hart und schwer nur kulen. // Kulen, kulen / stets im Zwang,/ jeden Tag nur kulen;/ stets im Zwang nur kulen.// Kulen, kulen /Jahr um Jahr, / jeden Tag nur kulen; / Jahr um Jahr nur kulen!"

Die zu leistenden Tätigkeiten unterschieden sich vor und nach 1939 ihrer Art nach nur wenig, wohl aber ihrem Umfang nach: Lag das täglich von den Häftlingen im Kuhlkommando zu leistende Quantum bis 1938 noch bei ca. 10 m³ und die Arbeitszeit bei acht bis neun Stunden, wurde das Pensum nach Fertigstellung der neuen südlichen ELL auf 18, später bis auf 25 m³ erhöht und die tägliche Beschäftigungszeit auf 12 Stunden festgesetzt."

(Bührmann-Peters 209)


Wenn sich jemand krank meldete, so war er schon ein Todeskandidat. Die Krankmelder mussten frühmorgens vor der Revierbaracke antreten, der Ober-platzmeister kam und besah sich jeden Einzelnen. Da gab es oftmals schon die ersten Prügel. Diejenigen, die von ihm nicht als krank befunden wurden, kamen für diesen Tag in die Strafkompanie und mußten den ganzen Tag unter Bewachung von SA-Leuten, die mit Reitpeitschen ausgerüstet waren, im Laufschritt die Karre schieben. Dem wollte ich natürlich aus dem Wege gehen. Am nächsten Tag bin ich wieder zur Arbeit gegangen. Am Abend hielt ich es vor Schmerzen nicht mehr aus. Der Arm war geschwollen, und die Gefahr einer Blutvergiftung wurde immer größer.

Meine Genossen rieten mir, doch zum Platzmeister zu gehen und ihm die Sache vorzutragen. Ich tat dies auch und erhielt vom Platzmeister die An-weisung, am nächsten Tag früh zum Arzt zu gehen.

Vor der Revierbaracke spielte sich nun die tägliche Szene ab. Ich wurde aufgerufen, ins Revier zu kommen. Als ich eintrat, befand sich in diesem Raum das gesamte Revierpersonal, alle SA-Leute einschließlich des Kommandoführers sowie des Platzmeisters. Ich wurde hier von diesen empfangen mit `Du Lump`, `Du Strolch`, `Du Verbrecher`, `Halunke` usw., und ehe ich überhaupt zu mir kam, befand ich mich wieder draußen, ich überlegte noch, was nun weiter werden sollte. In diesem Moment wurde ich wieder reingerufen. Ein SA-Mann sagte zu mir, `komm her, ich werde dir einen Verband anlegen.` Um mir zu „helfen“ und die Schmerzen zu lindern, erhielt ich einen Trockenverband, der die Schmerzen noch vergrößerte. Anschließend wurde ich dann in die Küche zum Kartoffelschälen geschickt. Das war natürlich unmöglich.

Gegen 11 Uhr hatte ich dermaßen Schmerzen und Fieber, daß ich es einfach nicht mehr aushalten konnte. Ich sagte zu meinen Genossen: `Ich gehe zurück ins Revier. Sie mögen nun mit mir machen, was sie wollen, so hält das kein Mensch mehr aus.`

Ich ging ins Revier, klopfte an die Tür, und es erschien ein SA-Mann. Als er mich sah, sagte er: `Komm rein, wir wußten ja, daß du wiederkommst`. Man führte mich in einen kleinen Raum, und es erschien noch ein SA-Mann mit einer Pistole, die er entsicherte. Die Tür wurde abgeschlossen, und ich stand nun diesen beiden SA-Leuten gegenüber. Sie fragten mich, ob ich bei meinen Äußerungen bleibe, dass der Hund auf mich gehetzt wurde. Ich bat, etwas sagen zu dürfen. `Sie haben mich doch hier eingesperrt, weil ich angeblich ein schlechter Mensch bin, und Sie wollen mich doch hier zu einem anständigen Menschen erziehen. Wenn ich jetzt sagen soll, was Sie von mir haben wollen, dann muß ich lügen, und ich will aber nicht zum Lügner werden.` Die Worte waren noch nicht gesprochen, da erhielt ich den ersten Schlag mit dem Pistolengriff auf den Kopf, ein weiterer traf mich ins Gesicht, und ich brach zusammen. Ich verlor die Besinnung und kam erst wieder zu mir, als ich draußen vor der Revierbaracke lag.

Meine Genossen, die zufällig vorbeikamen, trugen mich in die Baracke. Da stellte ich fest, daß ich einen Teil meiner Zähne verloren hatte.

Die Revierleitung gab die Anweisung an die Kalfaktoren des Reviers (ebenfalls Gefangene), mir keinerlei Hilfe zukommen zu lassen und mich auch nicht ins Revier aufzunehmen. Trotz alledem fand sich ein Genosse Revierkalfaktor, der unter den größten Schwierigkeiten Medikamente beschaffte, um mir einigermaßen zu helfen. Die Mitgefangenen gaben mir Decken.

Am nächsten Tag habe ich mich im Einvernehmen mit dem Stubenältesten nicht krankschreiben lassen, sondern wurde als arbeitsfähig gemeldet in der Voraussicht, dass bis zum Eintreffen des Arztes meine Anwesenheit im Lager noch nicht entdeckt ist. Jeden Mittwoch kam der Arzt von Papenburg, um die kranken Häftlinge zu untersuchen. Er erschien gewöhnlich gegen 9 Uhr. Es galt nun, mich bis zu diesem Zeitpunkt im Lager zu verstecken. Da es keine andere Möglichkeit gab, mußte ich in die Abortgrube kriechen und dort so lange bleiben, bis der Stubenälteste mir Bescheid sagte, daß ich heraus-kommen könne. Die Abortgrube war ca. 1,50-1,80 m tief.

Als der Stubenälteste mitteilte, daß sich der Arzt dem Lager näherte, kroch ich aus der Grube heraus und lief dem Arzt entgegen. Als er mich sah, sagte er: `Ich weiß Bescheid, kommen Sie mit`, und nahm mich mit ins Revier. Ich erhielt einen anständigen Verband und durfte 14 Tage im Revier bleiben.

Nach dieser Zeit war mein Arm wieder geheilt und ich habe nicht nur meinen Arm behalten, sondern auch mein Leben gerettet.

Nach meiner Entlassung aus dieser Hölle wurde ich unter Polizeiaufsicht gestellt, d. h., ich mußte mich regelmäßig nach Feierabend bei der Polizei melden.“

 

 

Ernst Heinrich Bethge in Sachsenhausen

Erich Rossmann erinnert sich in

Ein Leben für Sozialismus und Demokratie (1946)

an den Mithäftling Ernst Heinrich Bethge.

 

 

Adolf Scholze

Adolf Scholze als
Polizeirat der Deutschen Volkspolizei (1948).

 

 

Adolf Scholze (1913-1983) gehört zur Gruppe der tschechischen Patrioten, die 1938 im Grenzgebiet zu Deutschland Panzersperren, Befestigungen und Stellungen gegen den Einmarsch der Wehrmacht anlegten. Er war Zugführer in der "Republikanischen Wehr". Gleich bei Beginn der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ (NS-Propaganda) bringt er sich in seinem Wohnort in Sicherheit. Doch die Henlein-Faschisten kennen ihn. Am 1. Dezember wird er verhaftet und kommt über Zwischenstationen in das Konzentrationslager Buchenwald. 1949 führt ihn sein Lebensweg nach Naumburg. Als Gewerkschaftsmann, Vorsitzender des FDGB-Kreisvorstandes Naumburg, macht er sich die Sorgen und Nöte seiner Mitglieder zu seinen eigenen. Als ehemaliger Häftling von Buchenwald engagiert er sich bis zu seinem Tode für die Pflege und Wahrung der Erinnerungen seiner Schicksalsgenossen in der Gedenkstätte Buchenwald. Lebendig und anschaulich erzählt er Jugendlichen bei Führungen vor Ort von seinen Erlebnissen, zum Beispiel wie er aus den Gustloffwerken am 25. August 1944 eine Drehbank organisierte und durch den Haupteingang an der Kontrolle durch den stellvertretenden Lagerleiter Max Schobert (geboren 25.12.1904, hingerichtet am 19.11.1948) zum Block 11 brachte. Auf dieser Drehbank fertigten die Häftlinge Rohlinge für Handgranaten.

Adi!

 

 

Aus dem Konzentrationslager zurückgekehrt. "Naumburger Tageblatt". Sonnabend, den 21. Juli 1945 (Bericht über den Schlosser Karl Marien aus der Firma Gehring)

Bartel, Prof. Dr. Walter: Walter Höhne. August 1972. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Archiv Buchenwald, Weimar, Walter Barthel Bericht über Walter Höhne 31/171

Bührmann-Peters, Frank: Ziviler Strafvollzug für die Wehrmacht. Militärgerichtlich Verurteilte in den Emslandlagern 1939-1945. Dissertation, Universität Osnabrück, Fachbereich 2, Kultur- und Geowissenschaften, Fachgebiet Geschichte, Sommersemester 2002

Carlebach, Emil, Willy Schneider, Ulrich Schneider: Buchenwald ein Konzentrationslager. Berichte - Bilder - Dokumente, Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2000

Einlieferungsbuch. Konzentrationslager Buchenwald. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Archiv Buchenwald, Weimar

Grunert, Walter [geboren am 17.02.1906 in Zeitz], Naumburg, Heinrich-Heine-Straße 2, Häftlingsnummer [Konzentrationslager Buchenwald] 428, Biografie. Ohne Jahresangabe Abschrift. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Archiv Weimar Buchenwald 31/499

Grunert, Walter [geboren am 17.02.1906 in Zeitz]. Biografische Notizen zu Walter Grunert. Autor und Jahr unbekannt, Jahr - grob geschätzt - 1970

Grunert, Walter [geboren am 17.02.1906 in Zeitz]. Vom Vertrauen der Bürger getragen und eng verbunden. In: Freiheit, 28. Dezember 1978

[Heinemann] Brief des Konzentrationslagers Dachau an Frau Heinermann vom August 1942, unveröffentlicht

Jahnke, Walter: Lebenslauf. Naumburg, den 16. Juli 1962, unveröffentlicht

[Jahnke, Walter] Vorwärts und nicht vergessen ….. Lesehefte zur örtlichen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung des Kreises Naumburg. Bearbeitet von Genossen Hans Wolf unter Verwendung von Materialien von Walter Jahnke. Herausgeber: SED-Kreisleitung, Kommission zur Erforschung der örtlichen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, ohne Jahresangabe

[Jahnke, Walter] Interview mit Frau Margot Biedermann (geboren 1. Oktober 1924), die Ehefrau von Walter Jahnke, Naumburg 2006, unveröffentlicht

Jahnke, Walter. Mitgliedskarte Nummer 373342 der Kommunistischen Partei Deutschlands für Walter Jahnke, 5. April 1946

Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1945 / 1974

Maciak, Alojzy: Rede zum 64. Jahrestag der Befreiung von Buchenwald 2009. Buchenwald
http://lag.vvn-bda-ffo.de/2009/06/02/rede-alojzy-maciak-zum-64-jahrestag-der-befreiung-von-buchenwald-2009/

Marien, Karl: Brief an Genossen Zeitschel. Anbei einige Daten aus der Zeit. Handschriftlich, Naumburg, 14. April 1958, unveröffentlicht

Materialien zu Walter Höhne, unveröffentlicht

Niethammer, Lutz (Herausgegeber): Der "gesäuberte" Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos in Buchenwald. Dokument. Akademie Verlag, Berlin 1994

Rossmann, Erich: Ein Leben für Sozialismus und Demokratie. Rainer Wunderlich Verlag, Stuttgart, Tübingen Oktober 1946

Pohlitz, Uwe: Die Überlebenden. Es war eindeutig ein Akt der Selbstbefreiung. KZ-Buchenwald 66. Jahrestag. In: Neue Rheinische Zeitung. Aktueller Online-Flyer vom 19. Mai 2011

[Scholze, Adolf] Lebensbild eines Veteranen der Arbeiterbewegung - Adolf Scholze. 1981/1982. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Archiv Buchenwald, Weimar, 52-11-716

Scholze, Adolf: Häftlings-Personal-Kartei. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Archiv Buchenwald, Weimar, 52-11-716

Scholze, Adolf: Aussage des Genossen Scholze über die "Organisierung" einer Drehbank aus dem Gustloffwerk nach der Bombardierung des Lagers am 24. August 1944. Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Archiv Buchenwald, Weimar, 32 IX-53

Zeitschel, Paul: Notizen. Naumburg, ohne Datum (wahrscheinlich um 1960), unveröffentlicht

Zeitschel, Felix: Mein politischer Lebenslauf. Naumburg, den 27. Mai 1976 (Datum der Aufzeichnung). Unveröffentlicht

Autor:
Detlef Belau

7. Juni 2010

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