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Saalschlacht
Die SPD-Bezirksleitung Merseburg lädt für den
in das Schützenhaus von Freyburg an der Unstrut zu einer öffentlichen Versammlung ein. Als Referent ist Doktor Arthur Schweriner zum Thema
angekündigt. Zwei Tage später erklärt das Naumburger Tageblatt: "Dr. Schweriner, seines Zeichens sozialdemokratischer Pressefachmann in Berlin, stellte im Laufe einer einstündigen Rede die Behauptung auf, dass der Antisemitismus der NSDAP. nur Mittel zum Zweck wäre. In Wahrheit gelte der Kampf der heutigen Staatsform."
An und für sich ist das Unternehmen schon etwas gewagt, denn der Versammlungsort gilt als eine Hochburg der Nationalsozialisten. Die Freiburger Nationalsozialisten sind über die Veranstaltung nicht erfreut. Aus rechtlicher Sicht ist nichts gegen die Veranstaltung einzuwenden. Ihre Vorbereitung und Durchführung erfolgt gemäß dem Versammlungsrecht. Wilhelm Schwencke (*18.03.1888), der Führer des Naumburger Reichsbanners, erinnert 1956 daran: "Zum Schutz der Versammlung waren etwa 120 Genossen des `Reichsbanners` mit dem Spielmannszug auf Autos nach Freyburg gefahren." Außerdem unterstützte das Sozialistische Kultur-Kartell Naumburg die Teilnahme an der Versammlung. Auf jeden Fall wollten a l l e Linken die sozialdemokratische Versammlung und ihren Referenten gegen a l l e Angriffe verteidigen. Die Sozialdemokraten und Kommunisten sind deutlich in der Überzahl. Gegen 22 Uhr kommt der Vortrag von Doktor Schweriner mit dem damals üblichen Maß an Zwischenrufen, besonders von der rechten Seite, wo die Nationalsozialisten mit etwa einhundert Mann sitzen, zu Ende. Laut Aussage von Arbeiter Rudolf Matthes aus Freyburg betritt dann der hiesige NSDAP-Stadtverordnete und NSDAP-Gauleiter (1927-1930) Paul Georg Otto Hinkler den mit 600 bis 700 Personen gefüllten Saal und ruft: Es lebe der Nationalsozialismus! Alle Anhänger der NSDAP springen auf und rapportieren "Heil Hitler!" Und dies in einer sozialdemokratischen Versammlung! - Warum Landjäger Reichardt den Gauleiter am Eingang passieren läßt, wo doch der Saal überfüllt ist, wird nie geklärt. Die Stimmung schlägt um. Sie wird aggressiv. Hinkler macht sich mit ersten Zwischenrufen bemerkbar. Darauf reagiert der Referent mit der Bemerkung, dass er nun Gelegenheit habe den Gauleiter kennenzulernen. Darauf Hinkler:
Nach dem Referat sind erstmal zehn Minuten Pause. Nun können beim Versammlungsleiter die Diskussionsbeiträge eingereicht werden. Der erste Redner nach der Pause ist ein NSDAP-Mann. Er bezeichnet den Referenten als
Am Tag nach der Saalschlacht sagt Arbeiter Rudolf Matthes vor der Polizei in Freyburg:
Danach spricht NSDAP-Führer Friedrich Uebelhoer aus Naumburg. Er steht dem Vorredner in nichts nach. Auf ihn folgt ein Kommunist. Anschließend spricht ein ehemaliges NSDAP-Mitglied aus Freyburg. Danach folgt Eugen Wallbaum (SPD, Naumburg). Während seiner Ausführungen will Hinkler das Wort ergreifen. Als der seinen Rednerzettel auf den Tisch legt, verlässt Fritz Brauer das Präsidium und geht hinter die Bühne. Dort versuchen Nationalsozialisten durch ein kleines Fenster in den Raum einzudringen. Die Leitung der Versammlung übernimmt jetzt SPD-Kreissekretär Hermann Glaubrecht aus Eisleben (Liebknechtstraße 1). Der fragt die Versammlung, ob er den NSDAP-Gauleiter das Wort geben soll, weil der das Referat ja eigentlich nicht gehört hat. Die Versammlung verneinte dies. Das ist die Bruchstelle, was das Naumburger Tageblatt am 12. April 1930 mokiert:
"Jetzt gebärdet
sich Hinkler wie ein Verrückter.
sagt der Versammlungsleiter,
Hinkler entgegnet darauf:
Landjäger Reichardt erhält, berichtet Fritz Brauer, den Auftrag Paul Hinkler aus dem Saal zu entfernen. Der macht derweil immer noch keine Anstalten. Als der Landjäger sich zu ihm vorgearbeitet hat, fasst er ihn an die Oberarme. In dem Moment, als er ihn aus dem Saal begleiten will, fliegt dem Polizeibeamten ein Bierkrug in den Kopf-Nacken-Bereich. Der Bierseidelwerfer ist nach mehreren Zeugenaussagen der Theologiestudent Wilhelm Giessler. "Den Beamten, der ihn daraufhin verhaftete, fasste er nach der Gurgel und versuchte ihm den Gummiknüppel zu entreißen." Vor Gericht wird der raufende Gottesmann dafür eine einfallsreiche Erklärung finden. Im Prozess gegen den Theologiestudenten Giessler (23.10.1930, 4.3.1931), beschuldigt das NSDAP-Mitglied Claus (Naumburg, Oststraße) Eugen Wallbaum (SPD) einen Nationalsozialisten durch das Saalfenster im ersten Stock auf den Hof gestürzt zu haben. Eine Lüge, denn jener war zu dieser Zeit auf der Bühne bei Dr. Schweriner. (Details) Paul Hinkler wird am 12. November 1931 vom Schöffengericht in Naumburg zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Seine Ausfälle gegen die Sozialisten, Kommunisten und vor allem Juden, spielen vor Gericht keine Rolle. Nun kommt es im Saal des Schützenhauses zu einer heftigen Keilerei. Der Gauleiter beteiligt sich unter Zuhilfenahme von Stuhlbeinen daran und schlägt auf Beamte ein. Gegen 22.45 Uhr trifft aus Weißenfels ein Überfallkommando mit sechs Schupos (Schutzpolizisten) ein. Allmählich zieht im Saal wieder Ordnung ein. Nun gelingt es, Hinkler nach draußen zu bugsieren. Außerhalb des Saales brüllt er:
Die Saalschlacht fordert zwei Schwerverletzte und acht Verletzte. Sechszehn Stühle und ungezählte Bierkrüge gehen zu Bruch. Aus einem Brief von Wilhelm Schwenke an den Direktor des Domgymnasiums Professor Bruno Kayser wissen wir, dass einige seiner Schüler auf Seiten der Nationalsozialisten mitkämpften. Am Tag nach der Saalschlacht führt die SPD im Hotel Zur Post (Naumburg) eine Protestversammlung durch. Darüber berichtet der Volksbote (Zeitz): "Genosse Wallbaum schildert in einer einstündigen Rede eingehend die Vorkommnisse, die sich dort [in Freyburg am 10. April] abspielten. Die Mahnung und die Schlussfolgerung die Gen. Wallbaum aus dem Vorfall zog, wurde mit lebhaften Beifall bekräftigt. Die Ausführungen Wallbaums wurden durch die Genossen Schwenke, Heinrichs, Hoffmann und Räbel bekräftigt beziehungsweise ergänzt." Einstimmig gibt die Protestversammlung folgende Erklärung ab:
Verärgert reagieren die Teilnehmer SPD-Protestversammlung im Hotel Zur Post auf die Veröffentlichung des Naumburger Tageblatt vom 12. April 1930 und erklären:
Unter anderem verschweigt die Zeitung, dass aus weiter entfernt liegenden Orten, wie Querfurth, SA-Leute truppweise angereist waren. Deshalb muss, wie Paul Schäfer feststellt, "einwandfrei angenommen werden, dass Hinkler den Überfall vorbereitet und damit auch provozíert hat." (Ausführliche Darstellung hier.) Die Saalschlacht im Schützenhaus von Freyburg zieht sich als Thema durch mehrere Sitzungen des Naumburger Gemeinderats. "Herr Schwenke [Reichsbanner Naumburg] hat es in der Hand, ob Blut fließen soll oder nicht", droht Heinrich Hacker (NSDAP) am 25. April 1930 in der Stadtverordnetenversammlung. Dann fallen die Worte vom Blutbad in Freyburg. "Jedenfalls hat die Bluttat [in Freyburg a.U.] dazu beigetragen", so schätzen es die Sozialdemokraten und alle im sozialistischen Kultur-Kartell vereinigten Gruppen am 11. April 1930 in der Protestversammlung ein, "all denen, die dem Treiben der Nazis bisher teilnahmslos und gleichgültig gegenüberstanden, die Augen zu öffnen." Eine Hoffnung, die sich - leider - nicht erfüllte.
Der NSDAP-Ortsgruppenleiter aus Freyburg telegrafiert am 20. Oktober 1935 an Paul Hinkler, Polizeipräsident von Altona:
Brief von Wilhelm Schwenke, Reichsbanner "Schwarz-Rot-Gold" Ortsgruppe Naumburg vom 24. April 1930 an den Direktor des Domgymnasiums Prof. Dr. Kayser, Naumburg a.S., Domplatz. Archiv der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz [Brauer, Fritz] Strafanzeige von Fritz Brauer, Schraplau, Zellerstraße 1. Strafanzeige beim Herrn Oberstaatsanwalt Naumburg gegen Gauleiter Paul Hinkler. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg Rep. C 141, Staatsanwaltschaft beim Landgerichte Naumburg, Nr. 59-1 Das Blutbad in Freyburg a.U.. "Volksbote", Zeitz, den 12. April 1930 Das wahre Gesicht
des Nationalsozialismus: Theorie und Praxis der NSDAP. Herausgegeben vom
Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Bund Deutscher Kriegsteilnehmer
und Republikaner. Magdeburg, o.J. (um 1931). PDF von der Bibliothek der
Friedrich-Ebert-Stiftung, Erklärung [von Eugen Wallbaum, Naumburg]. "Volksbote", Zeitz, 12. März 1931 [Hartmann, Jürgen, Dieter Simon] Artur Schweriner - Eine Projektskizze von Jürgen Hartmann und Dieter Simon, In: Rosenland, Zeitschrift für lippische Geschichte, Februar 2006, Seite 31 bis 34 [Matthes, Rudolf] Aussage des Arbeiters Rudolf Matthes vor der Freyburger Polizei am 11. April 1930. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg Rep. C 141, Staatsanwaltschaft beim Landgerichte Naumburg, Nr. 59-1 [Schäfer] Der Bürgermeister, Freyburg IV, 11. April 1930 [gezeichnet Schäfer]. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Rep. C 141, Staatsanwaltschaft beim Landgerichte Naumburg, Nr. 59-1 Schwenke, [richtig: Schwencke] Wilhelm, Leo Heinrich, Paul Kynast und dem Kollegen Karl Franke: Aussprache mit den Genossen. Protokoll, Naumburg 13. Dezember 1956, unveröffentlicht [SPD gegen NSDAP] Freyburg. 11. April. SPD gegen NSDAP. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 12. April 1930 Strafsache gegen den Studenten Wilhelm Giesser. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Rep. C 141, Staatsanwaltschaft Naumburg, Staatsanwaltschaft beim Landgerichte Naumburg, Nr. 59-3 |
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Autor: Detlef Belau |
Geschrieben:
Dezember 2006. |