Techniker
des Rechts
Max
Weber charakterisiert in seinem Vortrag Wissenschaft als Beruf (1917)
die Techniker des Rechts trefflich so: "
.die Jurisprudenz: -
sie stellt fest, was, nach den Regeln der teils zwingend logisch, teils durch
konventionell gegebene Schemata gebundenen juristischen Denkens gilt, also: wenn
bestimmte Rechtsregeln und bestimmte Methoden ihrer Deutung als verbindlich erkannt
sind. Ob es Recht geben solle, und ob man gerade diese Regeln aufstellen solle,
darauf antwortet sie [aber] nicht
." (Weber 27)
In der "Idee
zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht"
formuliert 1784 Immanuel Kant "Das größte Problem für
die Menschengattung zu dessen Auflösung die Natur ihn zwingt, ist
die Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen
Gesellschaft." Aber das gelingt - reicht er in der "Metaphysik
der Sitten" (1797) nach - nur, wenn es frei von "Tugendvorschriften"
- also Wertfrei - ist, "alsdann ist es rein"! Damit ist die
Tigergrube der Rechtstheorie durch den genialen Philosophen aus Königsberg
abgesteckt. Paul Sattelmacher stürzt hinein
.
Inspiriert
von Kant trägt Hans Kelsen (1881-1973) mit seiner "Reine(n) Rechtslehre"
(1934) den Rechtspositivismus in neue Höhen. Die formale Struktur vom reinen
Recht gilt ihm als Inbegriff der modernen Rechtswissenschaft. Ein geschlossenes
System des Rechts, das heißt die Ableitung der Rechtsnorm aus dem jeweils
übergeordneten Soll-Satz (Rechtsnorm), soll es sein. Welche Gerechtigkeitsnormen
für den Inhalt maßgeblich sind, ist eine politische Frage, nicht die
Aufgabe der Rechtswissenschaft. Grenzen und Herausforderungen einer solchen Denkweise
bleiben durch die Techniker des Rechts (Rechtspositivisten) unreflektiert. Man
will keine Kriterien für Gerechtigkeit angeben. Selbst ungerechtes Recht
kann Recht sein, wenn es nur formal korrekt und der Form nach legal konstituiert
ist. Auf diese Weise beraubt sich eine ganze Berufsgruppe, angeführt durch
etablierte Akademiker, der Fähigkeit zu einem politischen, sozialen oder
ethischen Urteil über ihre eigene Tätigkeit.
Gustav
Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (1946) "Der
Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin
zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte
Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig
ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit
ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als `unrichtiges
Recht` der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere
Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz
unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber
kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal
erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei
der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz
nicht etwa nur `unrichtiges Recht`, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur."
(Radbruch 1946)
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Nun warnt uns Bernd
Rüthers im Buch "Die unbegrenzte Auslegung" (2005) davor, den Rechtspositivismus
zum Sündenbock für die Folgen des totalitären Staates zu machen.
Selbstverständlich kann das nationalsozialistische Unrechtssystem nicht mit
dem Rechtspositivismus identifiziert oder aus ihm heraus erklärt werden.
Nach der Rechtslehre von Hans Kelsen wäre es zum Beispiel unmöglich,
das "gesunde Volksempfinden", wie es die Nationalsozialisten taten,
zur Rechtsquelle zu erheben. Aber das der Rechtspositivismus dem Juristen ein
Weltbild verordnet indem die sozialen Handlungen um alle axiologischen Momente
bereinigt, sollte dabei jedoch nicht übersehen werden. Tiefgreifende Überlegungen
über das Warum und Wozu, und zum politischen Zweck des Gesetzes
braucht sich der in der Administration tätige Jurist eh nicht machen. Denn:
"Wer Recht durchzusetzen vermag, beweist damit, daß er Recht zu setzen
berufen ist", lehrt Gustav Radbruch in der "Rechtsphilosophie"
1932. Außerdem fordert der ehemalige Reichsjustizminister: "Für
den Richter ist es Berufspflicht, den Geltungswillen des Gesetzes zur Geltung
zu bringen, das eigene Rechtsgefühl dem autoritativen Rechtsbefehl zu opfern,
nur zu fragen, was rechtens ist, und niemals, ob es auch gerecht sei
"
Damit ist unter den Verhältnissen einer nationalsozialistischen Diktatur
alles möglich, bis hin zum Verbrechen im Namen des Volkes. Die Justiz macht
sich zur "Hure der Machthaber", wie Adolf Hitler im Tischgespräch
mit Dr. Lammer, Dr. Thierack und Dr. Rothenberger am 20. August 1942 sagt (vgl.
Hitler 20.8.1942). 1945
ist die Katastrophe perfekt. Unausweichlich, die einhundertachtzig-Grad-Wende!
Wer vollzieht sie? Natürlich Gustav
Radbruch in Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (siehe
Zitat). Eigentlich ist
damit das Abschiedslied vom Rechtspositivismus angestimmt. Waren
das die letzten Meldungen aus dem Tollhaus der Rechtsphilosophie? Leider nicht.
Gemäß der Radbruchschen Formel wäre die Verfolgung der
NS-Justiz- oder Euthanasieverbrechen möglich. Doch der Weg wird nicht beschritten.
Auf der rechtsphilosophischen Grundlage der "Irrtumlehre" von Hans Welzel
entscheidet nun der Gesinnungstatbestand der Unrechtmäßigkeit über
die Strafbarkeit einer Handlung. Wer subjektiv an die Rechtmäßigkeit
des NS-Tötungsbefehls glaubte, wem also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit
fehlte, handelte schuldlos, konnte keine Rechtsbeugung begangen haben. Quellenangaben
auf Seite www.naumburg1933.de/geschichte/gerichte.htm |