Das Urteil im Logen-Prozess
Die
Klage kostenpflichtig abgewiesen
Mit
einer Verspätung wurde gestern vormittag im großen Schwurgerichtssaal,
wohin die Verhandlung vom Landgericht verlegt worden war, die Klage von Mitgliedern
der früheren hiesigen Freimaurerloge gegen den Studien-Rat Siehe [Reformrealgymnasium
und Oberrealschule]
fortgeführt. Den Vorsitz führte wieder Landgerichtsdirektor Hoepffner,
als Vertreter der Kläger waren Rechtsanwalt Weymar, als Vertreter des Verklagten
Rechtsanwalt Dr. Funke zugegen.
Die
Zeugen wurden aufgerufen und vom Vorsitzenden über die zur Verhandlung anstehende
Angelegenheit unterrichtet. Die Kläger behaupten, daß der Beklagte
in einer Versammlung, der die Zeugen beigewohnt haben sollten, sich nur mit der
Loge und ihren Mitgliedern befasst und in seinen Ausführungen beschimpfende
Ausdrücke "Halunken" und "Schwerverbrecher" gebraucht
habe. Die Schimpfworte sollten sich auf die Mitglieder der altpreußischen
Großlogen schlechthin bezogen haben. Der Beklagte hingegen behaupte, diese
Ausdrücke hätten sich nach ihrem inneren und äußeren Zusammenhang
nicht auf die Logenmitglieder schlechthin bezogen, sondern lediglich auf die in
seinem Vortrag erwähnten "unsichtbaren Führer des Weltfreimaurertums",
die er auch vorher namentlich genannt habe als
Urheber
des Weltkrieges
und
seiner Folgen:
Poincare,
Eduard VII., Lenin, Briand bezw. Clemenceau.
Landgerichtsdirektor
Hoepffner wies noch die Zeugen drauf hin, daß nach dem Gesetz die Vereidigung
angeordnet werden könne, daß man es mit seinem Eide ernst zu nehmen
habe und dass es schwierig sei, als Zeuge Aussagen über den Zusammenhang
von Äußerungen in einer größeren Rede, die man gehört
habe, zu machen, da außerordentlich viele Einflüsse auf den Menschen
eingewirkt haben können.
Über
die Art des Kampfes der NSDAP. gegen die Logen betonte Rechtsanwalt Weymar, daß
es sich doch um Volksgenossen handele und daß die, die noch nicht bei der
NSDAP. seien, eingefangen werden sollten. Es werde dann über kurz oder lang
nur noch Nationalsozialisten geben.
Rechtsanwalt
Dr. Funke erklärte, der Kampf gegen die Logen werde im Sinne der Reichspropagandastelle
geführt. In der Beweisaufnahme wurde dann als erster Zeuge Pg. [Reichsbahnangestellter
Emil] Reiser [Hallesche Straße 24, Ortsgruppenführer der NSDAP Naumburg-Nord]
vernommen, dessen Aussage lautete: Die Ausdrücke
"Halunken"
und "Schwerverbrecher"
sind
vom Beklagten gebraucht worden. Sie bezogen sich nach ihrem Zusammenhang nach
meiner Auffassung lediglich auf die im Vortrag genannten internationalen Führer
und unbekannten Führer der Weltfreimaurerei. Der Ausführungen der Beklagten
über Aenderungen des Namens der preußischen Großlogen kann ich
mich nicht mehr entsinnen und nicht sagen, in welchem Zusammenhang die Worte "Halunken"
und "Schwerverbrecher" standen. Daß am Schluß des Vortrages
das
Wort "aufhängen"
gefallen
sein soll, habe ich nicht gehört.
Pg.
[Postschaffner Walter] Schmöller [Linsenberg 21, Kreisschulamtleiter, Ortsgruppenführer
der NSDAP Naumburg-Ost], machte dieselben Angaben wie der Vorzeuge. Er habe den
Ruf "aufhängen" gehört, jedoch habe er sich seiner Auffassung
nach nicht auf Logenbrüder schlechthin bezogen, sondern es sei der üblich
Ausdruck der Empörung über das verbrecherische Wirken der im Vortrag
Genannten gewesen.
Die
Aussage des Pg. [Kaufmann Alex] Brenner [Burgstraße 47, später Horst-Wessel-Siedlung
8, Ortsgruppenführer der NSDAP Naumburg-Süd] deckte sich im großen
und ganzen mit den vorhergehenden: die vom Beklagten gebrauchten Schimpfworte
hätten sich nach seiner Auffassung nicht auf die preußischen Landeslogen
bezogen, von der Naumburger Loge sei nicht die Rede gewesen.
Mit
ähnlichem Ergebnis verlief die Vernehmung von Pg. Seiler.
Pg.
Artes jun., als nächster Zeuge, bekundete dann: "Ich habe den Bericht
in der MNZ. [Mitteldeutsche Nationalzeitung] verfasst, der Bericht hat dem Schriftleiter
vorgelegen; ich nehme an, daß er ihn gelesen hat. Er ist unverändert,
wie ich hin verfaßt habe, zum Abdruck gekommen. Die
Ausführungen des Beklagten habe ich mit Stichworten mitgeschrieben, stenographiert
habe ich nicht. Mein Bericht gibt den Gedankengang der Ausführungen des Beklagten
im wesentlichen und ihre Reihenfolge richtig wieder; er ist aber sehr erheblich
gekürzt. Nach meiner Auffassung bezogen sich die vom Beklagten gebrauchten
Ausdrücke
"Halunken"
und "Schwerverbrecher"
ganz
unmissverständlich lediglich auf die vom Redner genannten internationalen
Führer der Weltfreimaurerei.
In meinem
Bericht folgt die Wiedergabe der Ausführungen des Beklagten
über den neuen Namen "Orden Friedrich der Große"
unmittelbar auf die Wiedergabe der Schimpfworte. Ob der Beklagte
bei seiner Rede diese Ausführungen auch unmittelbar danach
gebraucht hat, kann ich nicht sagen, es kann auch noch etwas
dazwischen gewesen sein. Ich bin mir dessen nicht bewusst gewesen,
daß mein Bericht über den Vortrag des Beklagten so
verstanden werden konnte, daß sich die Schimpfworte auf
die Mitglieder der preußischen Landesloge allgemein beziehen
könnten. Ich habe gehört, daß der Beklagte nach
Erscheinen des Artikels eine Berichtigung hat veranlassen wollen,
weiß aber keine Einzelheiten. Mit mir hat man darüber
nicht gesprochen.
Zu
letzterem wurde Pg. [Walter] Schmöller [NSDAP-Stadtverordneter, Ortsgruppenführer
der NSDAP] nochmals vernommen. Er erklärte: "Am Tag nach dem Erscheinen
des Bericht MNZ [Mitteldeutsche National-Zeitung]. Kam der Beklagte aufgeregt
zu mir und sprach mit mir davon, daß die Wiedergabe seiner Rede berichtigt
werden solle, weil der Bericht in seiner Kürzung den Eindruck erwecken können,
daß die Ausdrücke "Halunken" und "Schwerverbrecher"
sich auf den "Orden Friedrich der Große bezögen. Ich war der Ansicht,
daß eine Berichtigung nicht nötig ist, weil der Bericht doch offensichtlich
verkürzt wiedergegeben sei, sagte aber zum Beklagten, wenn er seine Berichtigung
wünsche, solle er sich an den Schriftleiter weden."
Von
weiteren Zeugenvernehmungen wurde abgesehen, jedoch wurde eine Erklärung
des Beklagten entgegengenommen, die er unter Eid zu nehmen bereit war. Sie lautet:
Ich habe die von mir gebrauchten Ausdrücke "Halunken" und "Schwerverbrecher"
gebraucht in Beziehung auf die von mir in meinem Beitrag genannten internationalen
Freimaurer Poincare, Lenin und die unsichtbaren Führer der Weltfreimaurerei.
Ich habe dabei auch nicht einmal in Gedanken an die Mitglieder der drei preußischen
Logen gedacht, insbesondere auch nicht an die Mitglieder der Naumburger Loge.
Die Ausdrücke
"Halunken" und "Schwerverbrecher" standen in keinem innerlichen
und äußerlichen Zusammenhang mit meinen Ausführungen über
die Aenderung des Namens der preußischen Landeslogen. Es müssen noch
andere Ausführungen dazwischen gewesen sein; daß weiß ich daher,
daß die gebrauchten Kraftausdrücke in meinem völlig frei gehaltenen
Vortrag den Höhepunkt meiner Rede unterstreichen sollten. Die Ausführungen
über die Namensänderung sind später an ziemlich bedeutungsloser
Stelle meines Vortrages erfolgt.
Hierauf
erklärte der Vertreter der Kläger, daß er die Klage zurückziehe,
da an einer Fortführung für die Kläger kein Interesse mehr bestand.
Der Anwalt des Beklagten, Dr. Funke, gab dem jedoch nicht die erforderliche Zustimmung,
worauf der Vertreter der Kläger erklärte, keinen Antrag mehr stellen
zu wollen. Dr. Funke hielt seinen letzten Antrag auf kostenfällige Klageabweisung
aufrecht. Seinem Antrage gemäß veränderte dann das Gericht ein
Urteil dahin, daß die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits
den Klägern auferlegt werden.
Aus:
"Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 10. März 1934
[In
Klammern Einfügungen vom Autor.]